Neues Produktsicherheitsrecht : Weitreichende Auswirkungen auch für die Versicherungswirtschaft?

21 November

Im europäischen Produktrecht stehen große Änderungen bevor: Am 13.12.2024 wird die neue Produktsicherheitsverordnung (VO (EU) 2023/988) EU-weit die bisherige Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit aus dem Jahr 2001 ablösen, was eine der wesentlichsten Änderungen der Produktsicherheitslandschaft für Non-Food-Verbraucherprodukte seit Jahren mit sich bringen wird. Die Änderungen sind umfassend und lösen weitgehend auch das nationale Produktsicherheitsgesetz ab. Die internen Prozesse müssen vor dem Hintergrund einer Fülle neuer Vorgaben und Pflichten vielfach neu aufgestellt bzw. angepasst werden. Zur Einordnung der Veränderungen, die auch für die Versicherungswirtschaft damit einhergehen können, ist es erforderlich sich einmal damit auseinanderzusetzen, was sich ändern wird. Dieser Beitrag soll hierzu einen ersten Überblick leisten.

Der EU-Gesetzgeber hat die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie (RL 2001/95/EG) durch eine unmittelbar anwendbare Verordnung ersetzt. Die neue Produktsicherheitsverordnung (auf English: General Product Safety Regulation, „GPSR“) ist am 12.06.2023 in Kraft getreten und gilt nunmehr bereits ab dem 13.12.2024 in jedem Mitgliedsstaat, ohne dass es hierfür einer innerstaatlichen Umsetzung bedarf.

Bis dahin bleibt es bei der jeweils bestehenden Rechtslage. Das Ziel des europäischen Produktsicherheitsrechts, dass eben nur „sichere“ Produkte in Verkehr gebracht bzw. auf dem Markt bereitgestellt werden (sog. „Allgemeines Sicherheitsgebot“), bleibt weiterhin bestehen. Es gilt nach wie vor, die Funktionsweise des Binnenmarkts zu verbessern und zugleich ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten. Mit der neuen Verordnung reagiert der „EU-Gesetzgeber“ auf die zunehmende Digitalisierung von Produkten und nimmt dabei auch neuartige Geschäftsmodelle (Onlinehandel, Plattformökonomie und Fulfillment-Dienstleister) sowie Cyberrisiken in den Fokus.

Spezielle Richtlinien/Verordnungen
Erst einmal ist (auch weiterhin) stets zu prüfen, ob eine spezielle Richtlinie oder Verordnung spezifische Sicherheitsanforderungen für Produkte vorsieht (zum Beispiel die sog. Niederspannungsrichtlinie (2014/35/EU) oder auch die sog. Funkanlagenrichtlinie (2014/53/EU)). Die einschlägigen Verordnungen- und Richtlinien-Inhalte müssen stets dahingehend geprüft werden, ob die in den jeweiligen Richtlinien und Verordnungen vorgegebenen Anforderungen eingehalten und die Sicherheit und Gesundheit von Personen, bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung, nicht gefährdet sind.

Die bereits existierenden EU-Regelungen für harmonisierte Produkte (wie etwa Maschinen, persönliche Schutzausrüstung, Spielzeug, etc.) bleiben bestehen (vgl. Art. 2 der EU-Produktsicherheitsverordnung: „Anwendungsbereich“). Produkte, die spezifischen Anforderungen der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union unterliegen, sind vom Anwendungsbereich der EU-Produktsicherheitsverordnung ganz oder teilweise ausgenommen.

Anders gewendet: Damit betreffen die Vorschriften der EU-Produktsicherheitsverordnung primär sog. nicht-harmonisierte Verbraucherprodukte, also solche, die für Verbraucher bestimmt sind oder wahrscheinlich von ihnen benutzt werden und für die es keine speziellen Anforderungen in gesonderten Rechtsakten gibt. Einzelne Neuregelungen gelten allerdings auch für harmonisierte Produkte, also solche, für die an anderer Stelle spezielle Anforderungen geregelt sind. Dies trifft zum Beispiel auf Pflichten der Anbieter von Online-Marktplätzen, Art. 21 der EU-Produktsicherheitsverordnung.

Bis zum 13.12.2024 noch geltende Rechtslage
Bis zum 13.12.2024 gilt noch die Produktsicherheitsrichtlinie (RL 2001/95/EG) in Verbindung mit dem Gesetz über die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt (Produktsicherheitsgesetz, kurz „ProdSG“) vom 27.7.2021.

Sollte – bezogen auf das jeweilige Produkt – keine spezielle Richtlinie/ Rechtsverordnung greifen, muss vorsorglich stets geprüft werden, dass bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit oder Gesundheit von Personen nicht gefährdet ist. Dies ist bis zum 13.12.2024 anhand des (bis dahin gültigen) Kataloges nach § 3 Abs. 2 S.1, S. 2 Nr. 1-4 ProdSG „insbesondere“ – also nicht abschließend – zu prüfen. Dieser lautet:

„Ein Produkt darf, sofern es nicht Absatz 1 unterliegt, nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn es bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet. Bei der Beurteilung, ob ein Produkt der Anforderung nach Satz 1 entspricht, sind insbesondere zu berücksichtigen:

  1. die Eigenschaften des Produkts einschließlich seiner Zusammensetzung, seine Verpackung, die Anleitungen für seinen Zusammenbau, die Installation, die Wartung und die Gebrauchsdauer,
  2. die Einwirkungen des Produkts auf andere Produkte, soweit zu erwarten ist, dass es zusammen mit anderen Produkten verwendet wird,
  3. die Aufmachung des Produkts, seine Kennzeichnung, die Warnhinweise, die Gebrauchs- und Bedienungsanleitung, die Angaben zu seiner Beseitigung sowie alle sonstigen produktbezogenen Angaben oder Informationen,
  4. die Gruppen von Verwendern, die bei der Verwendung des Produkts stärker gefährdet sind als andere.“

Produkte aus dem nicht-harmonisierten Bereich können also immer dann rechtmäßig auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn sie die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährden. Dabei ist sowohl die bestimmungsgemäße als auch die vorhersehbare Verwendung in die Bewertung einzubeziehen. Ein Produkt ist allerdings nicht schon deshalb gefährlich, weil es die Möglichkeit gibt, einen höheren Sicherheitsgrad zu erreichen, oder weil andere Produkte verfügbar sind, die ein geringeres Risiko darstellen, § 3 Abs. 2 S. 3 ProdSG.
Darüber hinaus muss bei solchen Produkten, die „in die Hände von Verbrauchern geraten“, auch die zusätzliche Regelung des § 6 ProdSG („Zusätzliche Anforderungen an die Bereitstellung von Verbraucherprodukten auf dem Markt“, die nahezu wortgleich in ganz Europa gilt) jedenfalls noch bis zum 13.12.2024 berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber hat hier Informations- und Kennzeichnungspflichten (Abs. 1) sowie die Pflicht zum Aufbau eines sog. Rückrufmanagements (Abs. 2) statuiert.
Neue Rechtslage ab dem 13.12.2024: Überblick über die neue EU-Produktsicherheitsverordnung
Die neue Produktsicherheitsverordnung enthält zahlreiche – zum Teil weitgehende – Neuerungen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass das bisherige deutsche ProdSG in seiner derzeitigen Fassung grundsätzlich – erst einmal – weiterhin gilt. Zwar bedarf es für die Geltung der EU-Produktsicherheitsverordnung keiner Umsetzung durch nationale Gesetze, jedoch ist vor dem Hintergrund der neuen EU-Verordnung auch mit Anpassungen im deutschen Produktsicherheitsgesetz zu rechnen. Die Bundesregierung hat bereits einen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Produktsicherheitsgesetzes und weiterer produktsicherheitsrechtlicher Vorschriften veröffentlicht (BT-Drucks. 20/12716). Gegenstand des Gesetzentwurfes ist unter anderem die Einführung von neuen Bußgeldtatbeständen im Hinblick auf die Verletzung von Pflichten der neuen EU-Produktsicherheitsverordnung.
Die wesentlichen Neuerungen werden nachfolgend dargestellt:

  1. Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs: Fulfilment-Dienstleister und Anbieter von Online-Marktplätzen
    Bisher trafen die erwähnenswerten Pflichten im Wesentlichen die Hersteller, in Einzelfällen auch Einführer und Bevollmächtigte (und auch zum Teil „Händler“). Der Anwendungsbereich der Pflichten wird nunmehr auf Anbieter von Online-Marktplätzen (Art. 22) und Fulfilment-Dienstleister (Lagerhalter, Versand oder Verpackung, vgl. Art. 3 Nr. 12) erweitert.

    Für alle Produkte gilt ab dem 13.12.2024 (dazu Art. 3 Nr. 8 und Art. 13 ProduktsicherheitsVO):
    „Hersteller“ ist (danach) jede natürliche oder juristische Person – z.B. also eine GmbH – die ein „Produkt herstellt“ oder „entwerfen“ oder „herstellen lässt“ und dieses Produkt in „ihrem eigenen Namen“ oder unter ihrer „eigenen Handelsmarke“ vermarktet“.
    Und „eine natürliche oder juristische Person gilt als Hersteller für die Zwecke dieser Verordnung und unterliegt den Pflichten des Herstellers gemäß Art. 9, wenn sie ein Produkt „unter ihrem Namen“ oder „ihrer Handelsmarke“ in Verkehr bringt.

    Und: „Wenn eine natürliche oder juristische Person, bei der es sich nicht um den Hersteller handelt, das Produkt wesentlich verändert, gilt sie, sofern sich die wesentliche Änderung auf die Sicherheit des Produkts auswirkt, für die Zwecke dieser Verordnung als Hersteller und unterliegt für den von der Änderung betroffenen Teil des Produkts oder für das gesamte Produkt den Pflichten des Herstellers nach Artikel 9.“

  2. Neue erweiterte Beurteilungskriterien für die Sicherheit von Produkten
    Der EU-Gesetzgeber hat neue Kriterien für die Beurteilung der Sicherheit von Produkten verankert (Art. 6 der EU-Produktsicherheitsverordnung). Dabei wurde erkennbar ein besonderes Augenmerk auf Elemente bei smarten Produkten gelegt. Neu ist etwa, dass Wechselwirkungen zwischen

    Produkten zu berücksichtigen sind, sofern eine gemeinsame Verwendung vorhersehbar ist. Ebenso ist für die Beurteilung bedeutsam, für welche Zielgruppe das Produkt bestimmt ist. In die Beurteilung haben auch die Gewährleistung der Cybersicherheit sowie sich entwickelnde, lernende und prädiktive Funktionen des Produkts einzufließen.

  3. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Produktsicherheit
    Bislang war stets umstritten, ab welchem Zeitpunkt Produkte die für sie einschlägigen Sicherheitsanforderungen einhalten müssen. Die EU-Produktsicherheitsverordnung schafft nun – zumindest für den Fernabsatz – Klarheit. Sie legt fest, dass alle Verbraucherprodukte, die Verbrauchern in der EU über das Internet zum Kauf angeboten werden, bereits zu diesem Zeitpunkt konform mit den für sie geltenden Sicherheitsanforderungen sein müssen.
  4. Interne Risikoanalyse für alle Produkte/Erstellung technischer Unterlagen
    Wenn Hersteller ihre Produkte in Verkehr bringen (und dies gilt für die gesamte EU), gewährleisten sie, dass diese Produkte im Einklang mit dem allgemeinen Sicherheitsgebot (nach Art. 5 der ProduktsicherheitsVO) entworfen und hergestellt wurden (Art. 9 Abs. 1). Das „Allgemeine Sicherheitsgebot“ lautet: „Die Wirtschaftsakteure dürfen nur sichere Produkte in Verkehr bringen oder auf dem Markt bereitstellen“.

    Art. 9 Abs. 2: Bevor Hersteller ihre Produkte in Verkehr bringen, führen sie eine interne Risikoanalyse durch und erstellen technische Unterlagen, die mindestens eine allgemeine Beschreibung des Produkts und seiner für die Bewertung seiner Sicherheit relevanten wesentlichen Eigenschaften enthalten (Art. 6). Zu berücksichtigende Aspekte sind u.a.:
    • die Eigenschaften des Produkts, seine Gestaltung, seine technischen Merkmale, Zusammensetzung, Verpackung, Installationshinweise, Verwendung, Wartung;
    • Einwirkung auf andere Produkte;
    • Aufmachung des Produkts, die Etikettierung, einschließlich Alterskennzeichnung, etwaige Warnhinweise und Anweisungen für seine sichere Verwendung und Entsorgung;
    • Verbraucherkategorien (Kinder, ältere Menschen);
    • zusätzliche Betrachtung der angemessenen Cybersicherheitsmerkmale, die erforderlich sind, um das Produkt vor äußeren Einflüssen, einschließlich böswilliger Dritter, zu schützen, sofern sich ein solcher Einfluss auf die Sicherheit des Produkts auswirken könnte;
    • zusätzliche Betrachtung der möglichen Einwirkung anderer Produkte auf das zu bewertende Produkt, wenn eine gemeinsame Verwendung anderer Produkte mit dem Produkt vernünftigerweise vorhersehbar ist, während bislang nur der umgekehrte Fall betrachtet wurde (vgl. dazu Art. 6 Abs. 1 c)).
    Sofern dies angesichts der möglicherweise mit dem Produkt verbundenen Risiken angemessen ist, umfassen die (bereits erwähnten) technischen Unterlagen, soweit anwendbar, außerdem
    • eine Analyse der möglicherweise mit dem Produkt verbundenen Risiken und der gewählten Lösungen zur Beseitigung oder Minderung dieser Risiken, einschließlich der Ergebnisse aller Berichte über Tests, die der Hersteller durchgeführt hat oder von einem Dritten hat durchführen lassen, und,
    • eine Aufstellung aller einschlägigen europäischen Normen (nach Art. 7: Vermutung der Konformität mit dem allgemeinen Sicherheitsgebot, aber auch Art. 8), die angewandt wurden, um dem allgemeinen Sicherheitsgebot (nach Art. 5) zu entsprechen.
    Die Hersteller stellen dabei sicher, dass die technischen Unterlagen auf dem neuesten Stand sind und halten diese Unterlagen für einen Zeitraum von zehn Jahren ab dem Inverkehrbringen des Produkts für die Marktüberwachung bereit und stellen die Unterlagen diesen Behörden auf Verlangen zur Verfügung (Art. 9 Abs. 3).

  5. Geeignete – interne – Verfahren zur Sicherstellung der Konformität für Serienprodukte
    Hersteller stellen durch „geeignete (interne) Verfahren“ sicher, dass bei in Serie gefertigten Produkten stets die Konformität mit dem allgemeinen Sicherheitsgebot (nach Art. 5) gewährleistet ist (Art. 9 Abs. 4, i. V. m. Art. 14). Die Vermutung der Konformität folgt aus Art. 7. Wie diese „geeigneten“

    Verfahren ausgestaltet werden, bleibt dem Hersteller überlassen und richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Dazu heißt es in Erwägungsgrund 37: „Solche internen Verfahren sollten von den Wirtschaftsakteuren selbst in Bezug auf ihre Rolle in der Lieferkette und die Art der betroffenen Produkte festgelegt werden und können beispielsweise auf organisatorischen Verfahren, Leitlinien, Normen oder der Ernennung eines Ad-hoc- Verwalters beruhen.“

  6. Traceability: Kennzeichnung zur Rückverfolgbarkeit
    Die Hersteller gewährleisten, dass ihre Produkte eine Typen-, Chargen- oder Seriennummer oder ein anderes für Verbraucher leicht erkennbares und lesbares Element zu ihrer Identifizierung tragen, oder, falls dies aufgrund der Größe oder Art des Produkts nicht möglich ist, dass die erforderlichen

    Informationen auf der Verpackung oder in einer dem Produkt beigefügten Unterlage angegeben werden (Art. 9 Abs. 5). Darüber hinaus kann die Kommission ein Rückverfolgbarkeitssystem einrichten, das die Wirtschaftsakteure dann übernehmen müssen (Art. 18).

  7. Herstellerkennzeichnung
    Aus Art. 9 Abs. 6 folgt zudem: „Die Hersteller geben ihren Namen, ihren eingetragenen Handelsnamen oder ihre eingetragene Handelsmarke, ihre Postanschrift und ihre elektronische Adresse sowie, falls abweichend, die Postanschrift oder die elektronische Adresse der „zentralen Anlaufstelle“ (eine Art „Whistleblower-Hotline für Produktsicherheit) an, unter der sie kontaktiert werden können. Diese Informationen werden auf dem Produkt selbst oder, wenn dies nicht möglich ist, auf der Verpackung oder in einer dem Produkt beigefügten Unterlage angebracht.“

    Neu im Vergleich zur bisherigen Regelung ist die Klarstellung, dass anstelle des Herstellernamens auch dessen Marke angegeben werden kann (bereits übliche Praxis). Neu ist zudem die Klarstellung, dass die Postanschrift anzugeben ist (bislang nur „Adresse“ bzw. im deutschen ProdSG die „Kontaktanschrift“) sowie die zusätzliche Angabe einer elektronischen Adresse.

    Um Rückfragen vorwegzunehmen: Dem im Verfahren diskutierten Vorschlag, die elektronische alternativ zur Postanschrift zuzulassen, ist der VO-Gesetzgeber nicht gefolgt. Folglich muss künftig beides (am besten auf dem Produkt) angegeben werden. Zudem war in der ursprünglichen Fassung der Verordnung noch von einer „E-Mail-Adresse“ statt einer „elektronischen Adresse“ die Rede. Am 19.12.2023 wurde eine Berichtigung zur Verordnung im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Diese korrigiert u.a. die deutschsprachige Fassung und ersetzt den Ausdruck „E-Mail-Adresse“ künftig durchgehend mit dem Ausdruck „Elektronische Adresse“. Diese Änderung eröffnet somit die Möglichkeit, die Internetadresse (alternativ zur E-Mail-Adresse) anzugeben.

  8. Benutzerinformationen
    Art. 9 Abs. 7: „Die Hersteller gewährleisten, dass ihrem Produkt klare Anweisungen und Sicherheitsinformationen in einer Sprache beigefügt sind, die für die Verbraucher leicht verständlich ist und die der Mitgliedstaat festlegt, in dem das Produkt auf dem Markt bereitgestellt wird. Diese Anforderung gilt nicht, wenn das Produkt auch ohne solche Anweisungen und Sicherheitsinformationen sicher und wie vom Hersteller vorgesehen verwendet werden kann.“

    Das ist eine Verschärfung gegenüber der bis zum 13.12.2024 geltenden Rechtslage: Bislang mussten solche Hinweise lediglich „erteilt“ (nach der bisherigen EU-Richtlinie) bzw. „zur Verfügung gestellt“ (nach dem bis 13.12.2024 geltenden ProdSG) werden. Dies konnte in Einzelfällen (aber auch schon nicht immer) z.B. durch eine online-Veröffentlichung erfolgen. Das nun geforderte „gewährleisten“ könnte („wird“) für zahlreiche Produkte zu einer Pflicht führen, jedem Produkt gedruckte Benutzerinformationen beizufügen.

  9. Einrichtung von öffentlich zugänglichen Kommunikationskanälen
    Auch das Beschwerdemanagement der Hersteller rückt nunmehr weiter in den Fokus: Hersteller müssen spezielle Beschwerdemöglichkeiten einrichten. Dies muss über öffentlich zugängliche Kommunikationskanäle (Telefon, elektronische Adresse, spezielle Rubrik auf der Website) erfolgen.

    Verbraucher müssen darüber Beschwerden einreichen können und Informationen über aufgetretene Unfälle oder Sicherheitsprobleme an den Hersteller melden können (Art. 9 Abs. 11).
    Gehen solche Beschwerden ein, müssen die Hersteller diese Beschwerden untersuchen und ein internes Verzeichnis dieser Beschwerden führen. In dem Verzeichnis sind auch Produktrückrufe und etwaige Korrekturmaßnahmen zu dokumentieren (Art. 9 Abs. 12). Es werden dabei nur diejenigen personenbezogenen Daten gespeichert, die der Hersteller benötigt, um die Beschwerde prüfen zu können, und zwar nur so lange, wie dies für die Zwecke der Prüfung erforderlich ist und längstens fünf Jahre (Art. 9 Abs. 13).

  10. Grundlagen der Sicherheitsbeurteilung (Art. 8 der ProduktsicherheitsVO)
    Als EU-weit gültige Verordnung stellt diese (ab 13.12.2024) stärker auf europäische bzw. internationale Normen ab als die bisherige Richtlinie, die den Schwerpunkt auf nationale Normen legte. Neu ist die Erwähnung u. a. von freiwilligen Zertifizierungssystemen oder ähnlichen Regelungen für Konformitätsbewertungen durch Dritte, Stellungnahmen anerkannter wissenschaftlicher Gremien und Sachverständigenausschüsse sowie mögliche Durchführungsrechtsakte der EU-Kommission zur Festlegung der spezifischen Sicherheitsanforderungen. Gleiches gilt für die Berücksichtigung von Empfehlungen oder Leitlinien der Kommission für die Bewertung für Produktsicherheit und von Verhaltenskodizes für die Produktsicherheit.
  11. Besondere Pflichten im Hinblick auf den Fernabsatz (Art. 19 ProduktsicherheitsVO)
    Wirtschaftsakteure müssen bereits beim Online-Angebot eines Produktes oder einer anderen Form des Fernabsatzes mindestens folgende Informationen geben:
    • Kennzeichnung des Herstellers: Angabe des Namens, des eingetragenen Handelsnamens oder der eingetragenen Handelsmarke sowie die Postanschrift und elektronische Adresse
    • Identifikationskennzeichnung: Abbildung des Produkts, seiner Art und sonstige Produktidentifikatoren
    • Eindeutige und gut sichtbare Warnhinweise bzw. Sicherheitsinformationen
  12. Neue Pflichten insbesondere des Herstellers bei Unfällen im Zusammenhang mit den Verbraucherprodukten (Art. 20 der ProduktsicherheitsVO)
    Art. 20 statuiert unfallbezogene, auch im harmonisierten Bereich geltende Meldepflichten, die es im europäischen Produktsicherheitsrecht zuvor nicht gab. Nach Art. 20 Abs. 1 obliegt es dem Hersteller, produktbedingte Unfälle i.S.v. Art. 20 Abs. 2 unverzüglich ab Kenntniserlangung an die zuständige Behörde des Mitgliedstaates, in dem sich der Unfall ereignet hat, zu melden. Die Meldung umfasst die Art und die Identifikationsnummer des Produkts sowie die Umstände des Unfalls, sofern bekannt.

    Art. 20 Abs. 2 konkretisiert das meldepflichtige Geschehnis, ohne den Begriff „Unfall“ legal zu definieren. Danach sind im Zusammenhang mit der Verwendung eines Produkts eingetretene Vorkommnisse zu melden, die zum Tod eines Menschen oder zu schwerwiegenden dauerhaften oder zeitweiligen nachteiligen Auswirkungen auf die Gesundheit und Sicherheit dieses Menschen, einschließlich Verletzungen, anderer körperlicher Schädigungen, Krankheiten und chronischer Gesundheitsauswirkungen, geführt haben.

  13. Abgeänderte Anforderungen an Produktrückrufe und Sicherheitswarnungen (Art. 35 und 36 der ProduktsicherheitsVO)
    Die Vorgaben in Art. 35 und 36 zählen daher zu den wesentlichen Neuerungen der Produktsicherheitsverordnung.
    Art. 35 enthält neue Regelungen zur Unterrichtung der Verbraucher in dem Falle, dass es zu sog. Sicherheitswarnungen und/oder Rückrufen kommt.

    Der – von der EU – empfohlene Weg zur effektivsten Kundenansprache ist der sog. „direkte“ Kontakt zum Kunden (vgl. Erwägungsgrund 85). Dazu sollten die die gespeicherten personenbezogenen Daten verwendet werden.

    Neu aufgenommen ist insofern die Nutzung der personenbezogenen Daten der Kunden auch von Online-Marktplätzen für den Versand von Rückrufen sowie das Angebot an die Kunden, gesonderte Kontaktdaten ausschließlich zu Sicherheitszwecken zu hinterlegen.
    Neu ist auch die Verbreitung einer klaren und sichtbaren Rückrufanzeige oder Sicherheitswarnung über andere geeignete Kanäle, so etwa die Nutzung der Website des Unternehmens, Kanäle auf sozialen Medien, Newsletter und Verkaufsstelle sowie gegebenenfalls Ankündigungen in

    Massenmedien und anderen Kommunikationskanälen. Diese Informationen müssen für Menschen mit Behinderungen – ebenfalls – zugänglich sein.
    Art. 36 normiert zudem nunmehr detaillierte Vorgaben zur Gestaltung einer Rückrufanzeige. Art. 36 Abs. 2 der Produktsicherheitsverordnung sieht insofern Pflichtangaben zu einzelnen Elementen vor, die in der Rückrufanzeige enthalten sein müssen. Von Relevanz ist insbesondere das aufgenommene Verbot von relativierenden Formulierungen in Rückrufanzeigen wie „freiwillig“, „vorsorglich“, „im Ermessen“, „in seltenen Situationen“ oder „in spezifischen Situationen“ oder Hinweise, dass keine Unfälle gemeldet wurden.

    Nunmehr sind alle Wirtschaftsakteure (neben dem Hersteller) zur direkten Unterrichtung der Verbraucher im Falle eines Produktsicherheitsrückrufs oder einer Sicherheitswarnung verpflichtet. Wenn und soweit Produktregistrierungssysteme oder Kundenbindungsprogramme betrieben werden, die eine Identifikation der Kunden zulassen, müssen diese den Kunden die Möglichkeit geben, gesonderte Kontaktdaten ausschließlich zu Sicherheitszwecken zu hinterlegen.

    Hinsichtlich der Gestaltung einer Rückrufanzeige hat die Europäische Kommission mit Durchführungsverordnung (EU) 2024/1435 vom 24.05.2024 eine Vorlage festgelegt. Diese wurde jüngst am 24.07.2024 berichtigt (siehe Links oben).

  14. Novum: Verbraucher erhalten im Falle eines Produktsicherheitsrückrufs (zusätzliche) Ansprüche auf Abhilfemaßnahmen (ungeachtet vertraglicher Ansprüche)
    Hierbei handelt es sich mit um die folgenreichste Neuerung, die der Hersteller berücksichtigen muss. Erstmals erhalten Verbraucher – im Falle von Produktrückrufen – Ansprüche auf (konkrete) Abhilfemaßnahmen gegen (alle) Rückrufverantwortlichen. Auf diese Weise soll die Teilnahme an einem Rückruf für Verbraucher – und hier liegt für Hersteller dann auch die Gefahr – „attraktiver“ werden (so u.a. Niermeier, NJW 2024, 1463). Hierdurch sollen die Rücklaufquoten (oder Umsetzungsquoten bei Rückrufen) erhöht werden (angeblich verwendet ein Drittel der Verbraucher ein gefährliches Produkt trotz Erhalts einer Rückrufanzeige weiterhin, so Erwägungsgrund 87 zur Produktsicherheitsverordnung, was so nicht erwiesen ist).

    Ferner gilt ein gänzlich neues „Abhilferegime“ für Verbraucher. Es kommt zu weit(er)gehenden „Verschneidungen“ zwischen den vertraglichen (aus dem Kaufrecht bekannten) Gewährleistungsrechten (§§ 437 ff. BGB) und ergänzenden vertraglichen Abhilfemaßnahmen (nach der Richtlinie (EU) 2019/771 vom 20.05.2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenverkaufs, dazu Art. 14) und Abhilfemaßnahmen, die im Falle eines Produktsicherheitsrückrufs zu treffen sind (dazu Erwägungsgrund 88 der Produktsicherheitsverordnung). Allerdings bestehen Unterschiede zwischen den Abhilfemaßnahmen.

    Im Einzelnen: Art. 37 der Produktsicherheitsverordnung regelt die Abhilfemaßnahmen im Falle eines Produktsicherheitsrückrufs: Der verantwortliche Wirtschaftsakteur (i.d.R. der Hersteller) hat im Falle eines Rückrufs (Definition in Art. 3 Nr. 25 und abzugrenzen von der „bloßen“ Sicherheitswarnung: Art. 35) dem Verbraucher wirksame, kostenfreie und zeitnahe Abhilfe anzubieten. Die Maßnahmen selbst werden in Abs. 2 definiert, wobei dem Verbraucher (grundsätzlich) mindestens zwei Maßnahmen zur Wahl angeboten werden müssen (Ausnahmen enthält Art. 37 Unterabsatz 2 des Abs. 2, so auch Niermeier, NJW 2024, 1464):

• Reparatur (in der Regel vom Hersteller durchzuführen, ausnahmsweise nach Abs. 3: in praxi kann diese sogar vom Verbraucher durchgeführt werden, wenn sie von diesem „leicht und sicher“ durchgeführt werden kann); gemeint sind nur Mangelbehebungen, die die Sicherheit betreffen (dann und insoweit ist bezüglich der Abhilfe dieser Anspruch mit dem Kaufrecht identisch (Art. 13 und 14 RL (EU) 2019/771 und 2019/770),
• Ersatz durch ein sicheres Produkt desselben Typs (ggfs. kann dies m.E. auch ein gebrauchtes Produkt sein (ebenso: Niermeier, NJW 2024, 1464);
• angemessene Erstattung des Werts des zurückgerufenen Produkts (mindestens gezahlter Kaufpreis): Entspricht dem (im Kaufrecht geregelten) Rücktritt, wobei in Art. 37 Abs. 5 die Rückgabepflicht (-recht) eher nur beiläufig erwähnt wurde; Nutzungsersatz ist (wohl) nicht vorgesehen (also Abzugsmöglichkeiten für Hersteller fehlen).

Es handelt sich um „Ansprüche“ der Verbraucher (vor allem wegen Art. 37 Abs. 2 letzter Absatz „stets Anspruch“) und um ein proaktives Anbieten (nicht bloß passives Abwarten, wie im Gewährleistungsrecht). Es ist ein (neues) „gesetzliches Schuldverhältnis“, ein Anspruch nicht gegen den Verkäufer, sondern direkt gegen den Hersteller.
Ob dieser Anspruch gar nicht verjähren kann (so Niermeier, NJW 2024, 1464; vgl. dazu auch den Erwägungsgrund 88) ist (sehr) zweifelhaft. Er entsteht immer wieder neu; die Thematik ist vergleichbar mit dem „Ende der Produktbeobachtungspflicht“, die ebenfalls umstritten ist. Ungewöhnlich ist allemal, dass dies im Öffentlichen Recht verankert wird und nicht im Zivilrecht. Es könnte sich aber dennoch anbieten, die Regelverjährung zu debattieren, wenngleich Einiges dafürsprechen würde, dass die EU tatsächlich („unfassbar“) weiten Verbraucherschutz gewähren will.
Die Ansprüche sind nach Art. 39 sogar verbandsklagefähig, können mithin europaweit in entsprechenden Sammelklagen gebündelt werden.

Konsequenzen
Insgesamt ist festzustellen, dass die Produktsicherheit immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit gerät und das Wirtschaftsakteure sich dringend mit den Verschärfungen auseinandersetzen sollten.
Insbesondere die Ausweitung der Melde- und Rückrufpflichten, also die Pflicht der Hersteller zu umfassender und vor allem frühzeitiger Information von Behörden, anderen Wirtschaftsakteuren und der Öffentlichkeit sowie das Recht der Verbraucher auf Abhilfe im Falle eines Rückrufes, also kostenfreie Reparatur, Ersatzlieferung oder Kaufpreisrückzahlung, sind wesentliche Neuerungen.

Insbesondere die Ansprüche auf Abhilfemaßnahmen im Falle eines Produktsicherheitsrückrufs bergen ein deutlich höheres Risiko als das bisher lediglich zugrunde liegende Zivilrecht. Denn dort galten und gelten für Gewährleistungsansprüche nur zwei Jahre ab Ablieferung gegen den Verkäufer. Jetzt kann Abhilfe auch vom Hersteller selbst verlangt werden und dazu möglicherweise zeitlich uneingeschränkt. Rückrufe könnten künftig mithin deutlich aufwändiger und sehr viel teurer als bisher werden. Dies sollte sich in den Preisen niederschlagen und es müssten/sollten höhere Rückstellungen in der Bilanz gebildet werden.

Auch ex ante kann dies nur schwer kalkuliert werden, da Verbraucher sich (mangels anderer Alternativen, wenn etwa kaufrechtliche Ansprüche bereits verjährt sind) im Zweifel sehr häufig an den Rückrufverantwortlichen halten werden. Auch wenn abzuwarten bleibt, wie sich dieses neben bestehenden Instrumenten am Markt durchsetzt, dürfte allein das Inkrafttreten entsprechender Verpflichtungen einen Einfluss auf die Kalkulation der Prämien von Rückrufkostenversicherungsverträgen haben.

Ob aufgrund der bevorstehenden Novationen der Deckungsschutz des einzelnen Unternehmens (im Rahmen der erweiterten Produkthaftpflicht– und/oder gar eine Rückrufkostenversicherung) angepasst werden sollte ist eine Frage des Einzelfalls und obliegt letztlich der Risikobewertung eines jeden Unternehmens bzw. eines jeden Unternehmers. Spezialisierte und versierte Industrieversicherungsmakler bieten insoweit grundlegende Beratungen an.

Aus Versicherer-Sicht lässt sich aber bereits jetzt prognostizieren: Die Ausweitung des Pflichtenkanons für Wirtschaftsakteure wird zwangsläufig wohl auch zu einer – ggf. sogar deutlichen – Ausweitung des (Produkt-)Haftpflichtrisikos und damit auch zu einer Zunahme potentieller Versicherungsfälle führen. Die sog. „Risikogefahr“ des Produkthaftpflicht- und Rückrufkostenversicherers wird steigen. Wie die Branche dieses zusätzliche Risiko bewältigen wird, bleibt abzuwarten.

Denkbar sind natürlich Prämienerhöhungen und Limitierungen einzelner Versicherungssummen, aber auch die Überarbeitung/Anpassung primärer Risikobeschreibungen, etwa mit Blick auf versicherte und unversicherte Kostenpositionen, oder auch die Einführung bestimmter Risikoausschlüsse. Dabei bedeutet die neue EU-Produktsicherheitsverordnung nicht zwangsläufig nur Risiken für die Branche. Sollte beispielsweise die reine Verletzung des Produktsicherheitsgebots sanktioniert werden, also das fahrlässige Inverkehrbringen unsicherer Produkte, wird sich dann wohl auch im Bereich der Produkthaftpflichtversicherung die Frage stellen, ob hierfür nicht eine gesonderte Vermögensschadendeckung bereitgestellt werden kann und soll.

Quelle: Advisors Up-to-date

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