„Erweiterte Schlüsselklausel“ in der Hausratversicherung

14 März

Der BGH hatte sich mit der Klage eines Versicherungsnehmers zu befassen, der Leistung aus seiner Hausratversicherung begehrt, nachdem ihm aus seinem Firmenfahrzeug eine Aktentasche entwendet wurde, in der sich unter anderem Rechnungen mit seiner Wohnanschrift und ein Schlüsselbund mit Wohnungs- und Tresorschlüssel befunden hätten. Nur kurze Zeit später hätten unbekannte Täter damit seine Wohnung betreten, den dort befindlichen Tresor geöffnet und diverse Wertgegenstände sowie Bargeld entwendet.

Einführung in die Thematik

In den Musterbedingungen des GDV zur Hausratversicherung (VHB 2022 – Quadratmetermodell) ist unter Ziffer A 4 geregelt:

A 4 Was ist unter Einbruchdiebstahl, Diebstahl, Vandalismus nach einem 

Einbruch sowie Raub zu verstehen? Welche Schäden sind hier nicht versichert?

A 4.1 Einbruchdiebstahl

Einbruchdiebstahl ist in folgenden Fällen gegeben:

(…)

A 4.1.5 Unberechtigtes Eindringen mit richtigem Schlüssel

Dies liegt in folgenden Fällen vor:

A 4.1.5.1 Der Dieb dringt in den Raum eines Gebäudes mit einem richtigen Schlüssel ein oder öffnet dort damit ein Behältnis. Den richtigen Schlüssel hat sich der Dieb vorher durch Einbruchdiebstahl oder Raub nach A 4.3 beschafft. Der Einbruchdiebstahl oder Raub dieses Schlüssels kann auch außerhalb des Versicherungsorts erfolgt sein.

A 4.1.5.2 Der Dieb dringt in einen Raum eines Gebäudes mit einem richtigen Schlüssel ein. Den richtigen Schlüssel hat sich der Dieb vorher durch Diebstahl beschafft. Dabei hat weder der Versicherungsnehmer noch der Gewahrsamsinhaber den Diebstahl des Schlüssels durch fahrlässiges Verhalten ermöglicht.

Der Diebstahl dieses Schlüssels kann auch außerhalb des Versicherungsorts erfolgt sein.

Ferner ist die gesetzliche Regelung des § 81 VVG zur Herbeiführung des Versicherungsfalles zu berücksichtigen.

Des Weiteren ist zu prüfen, ob es sich bei der Klausel um eine sogenannte „verhüllte“ Obliegenheit (wird auch „versteckte“ Obliegenheit genannt) handelt. Eine solche liegt dann vor, wenn einem Versicherungsnehmer in der Formulierung eines Risikoausschlusses ein bestimmtes Verhalten als Voraussetzung für die Erhaltung des Versicherungsschutzes aufgegeben wird.

Nachfolgend soll das aktuelle Urteil des BGH zur Frage, an welchen Maßstäben eine solche Klausel in den Versicherungsbedingungen auf deren Wirksamkeit hin zu messen ist, dargestellt werden.

Klauseldetails

Inhaltliche Erweiterung des Versicherungsschutzes

Grundsätzlich ist der reine Einbruchdiebstahl im Rahmen der Hausratversicherung versichert.

Dieser versicherte Grundfall liegt vor, wenn der Dieb in einen Raum eines Gebäudes einbricht, einsteigt, mit falschem Schlüssel oder mit Hilfe von anderen Werkzeugen eindringt.

Durch die Regelung in A 4.1.5.1 handelt es sich um eine inhaltliche Erweiterung in einen Bereich, der über die reine Einbruchversicherung hinausgeht.

Dieser erweiterte Versicherungsschutz wird durch die Regelung „Dabei hat weder der Versicherungsnehmer noch der Gewahrsamsinhaber den Diebstahl des Schlüssels durch fahrlässiges Verhalten ermöglicht.“ von Anfang an klar beschränkt, womit es sich um eine primäre Risikobeschreibung handelt. Es wird damit eben gerade nicht eine nachträgliche Einschränkung eines grundsätzlich zugesagten Versicherungsschutzes vorgenommen.

Die Gegenauffassung hierzu sieht dies anders. Sie nimmt an, dass der Teil der Klausel, der den Versicherungsschutz auf ein schuldloses Verhalten des berechtigten Besitzers an der Ermöglichung des Schlüsseldiebstahls beschränkt unwirksam ist (z.B. OLG Karlsruhe VersR 1997, 1230 f.; Baumann in Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 81 Rn. 188, 209; Johannsen/Johannsen in Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. Band III Anm. H 78; Klimke in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. A. § 3 VHB 2016 Rn. 13 f.).

Dies wird damit begründet, dass eine Abweichung vom Verschuldens- und Beweismaßstab des § 81 VVG und einer Ausdehnung der Haftung des Versicherungsnehmers für das Verhalten Dritter, die nicht zugleich Repräsentanten des Versicherungsnehmers sind, vorliegt. Die Unwirksamkeit würde sich dann aus § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB. Eine Inhaltskontrolle von Versicherungsbedingungen ist insofern möglich, als diese von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Kontrollfrei bleiben aber bloße Leistungsbeschreibungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistungen festlegen.

Der BGH folgt der erstgenannten Ansicht, wonach es sich bei der Klausel um eine inhaltliche Erweiterung des Versicherungsschutzes handelt.

Auslegung von Versicherungsbedingungen

Nach welchem Maßstab Versicherungsbedingungen auszulegen sind, hat der BGH in ständiger Rechtsprechung geklärt. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche

Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (Senatsurteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21, BGHZ 232, 344 Rn. 10; st. Rspr.).

Verständnis des Begriffs „Einbruchdiebstahl“ nach der Rechtsprechung des BGH

Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, der bei der Beurteilung der Frage nach der Reichweite des vom Versicherer gegebenen Leistungsversprechens die Regelung in Ziffer A 4.1 liest, wird nach Auffassung des BGH vom Wortlaut des dort verwendeten Begriffs „Einbruchdiebstahl“ jedenfalls nicht den mittels eines zuvor entwendeten echten Schlüssels verübten Diebstahl als umfasst ansehen. Der Ausdruck „Einbruchdiebstahl“ verweist den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht auf den Bereich der Rechtssprache. Zwar ist der Begriff des „Diebstahls“ ein Rechtsbegriff des Strafrechts, der seine nähere Ausformung durch die dort geregelten tatbestandlichen Voraussetzungen des § 242 StGB erhält. Einen eindeutig festgelegten Begriff des „Einbruchdiebstahls“ gibt es aber nicht.

Nach allgemeinem Sprachgebrauch umschreibt der Begriff den nach Einbrechen in ein Haus oder einen Raum verübten Diebstahl (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. Band 2 Stichwort „Einbruchdiebstahl“). Dabei ist mit dem Begriff des „Einbrechens“ das gewaltsame Eindringen in ein Gebäude oder einen Raum, besonders um etwas zu stehlen, gemeint. Dementsprechend wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer unabhängig davon, ob er allein mit dem Begriff „Einbruchdiebstahl“ eine hinreichend bestimmte Vorstellung von der Reichweite des zugesagten Versicherungsschutzes verbindet, Leistungen jedenfalls nur für solche Begehungsweisen erwarten, bei denen der Täter gewaltsam und widerrechtlich unter Überwindung eines Hindernisses (z.B. eines Fensters oder einer Türe) in das versicherte Gebäude eindringt. Darunter fällt der Zutritt mit einem zuvor entwendeten Schlüssel nicht.

Keine AGB-Kontrolle der Klausel

Legt man obige Auslegung zu Grunde, stellt die Klausel A 4.1.5.1 eine inhaltliche Erweiterung des Versicherungsschutzes dar. Diese Erweiterung ist eine eigenständige Regelung einer versicherten qualifizierten Begehungsform des Diebstahls in einen Bereich, der über die reine Einbruchversicherung hinausgeht und damit eine Definition des Versicherungsfalls. Sie unterfällt somit keiner AGB-Inhaltskontrolle, denn § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB beschränkt diese auf Klauseln, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Kontrollfrei bleiben daher bloße Leistungsbeschreibungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistungen festlegen.

Auch der Schutzzweck der Inhaltskontrolle spricht für eine Kontrollfreiheit der Klausel. Durch die Inhaltskontrolle soll der Versicherungsnehmer vor einer einseitig ausbedungenen,  inhaltlich unangemessenen Verkürzung der vollwertigen Leistung, wie er sie nach Gegenstand und Zweck des Vertrages erwarten darf, geschützt werden.

Zu diesem innersten Kern der Leistungsbeschreibung einer Hausratversicherung, die Versicherungsschutz auch für durch Einbruchdiebstahl verursachte Schäden verspricht, zählt die von der „erweiterten Schlüsselklausel“ erfasste Tatmodalität nicht.

Schutzwürdige Erwartungen des Versicherungsnehmers auf einen bestehenden Versicherungsschutz können durch die in A 4.1.5.1 enthaltenen Einschränkungen nicht verletzt werden, weil der mittels eines zuvor entwendeten richtigen Schlüssels verübte Diebstahl nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht unter A 4.1 fällt.

Der Vollständigkeit halber soll hier auch die Gegenmeinung dargestellt werden, der die Rechtsprechung des BGH jedoch nicht folgt: Die Gegenansicht argumentiert, dass mit der Regelung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abgewichen wird. Dies vor allem deswegen, weil der Versicherungsschutz bereits bei jeder Fahrlässigkeit entfalle. Ferner auch, weil ein fahrlässiges Verhalten jedes Gewahrsamsinhabers ausreichend sein soll, womit dem Versicherungsnehmer nicht nur das Verhalten seiner Repräsentanten, sondern auch das anderer Personen zugerechnet werde (vgl. z.B. OLG Frankfurt/M. VersR 89, 623; Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., § 5 VHB 84 Anm. 2 und § 1 AREB Anm. 3 Cf).

Keine verhüllte Obliegenheit

Das in A 4.1.5.1 enthaltene zusätzliche Leistungsversprechen des Versicherers weicht auch nicht im Sinne von § 32 Satz 1 VVG von § 28 VVG ab.

Bei der Klausel handelt es sich nicht um eine sogenannte verhüllte oder versteckte Obliegenheit.

Maßgeblich für die Abgrenzung einer verhüllten oder versteckten Obliegenheit von einer Risikobegrenzung sind dabei nicht der Wortlaut und die Stellung der Klausel innerhalb eines Bedingungswerkes. Ausschlaggebend ist vielmehr der materielle Gehalt, wobei es darauf ankommt, ob sie die individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert. Der Auslegungsmaßstab ist dabei erneut der oben beschriebene und damit die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers. Dieser entnimmt der Klausel, dass der Versicherer von vornherein nur ausschnittsweise.

Deckung gewährt und ihm nicht ein bereits gegebener Versicherungsschutz wegen nachlässigen Verhaltens des berechtigten Schlüsselbesitzers wieder entzogen werden soll (vgl. Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 31. Aufl. § 1 AERB 2010 Rn. 28).

Kein Verstoß gegen das Transparenzgebot

Die Klausel verstößt auch nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dieser Prüfungsmaßstab ist gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB auch auf das Hauptleistungsversprechen anzuwenden. Der Versicherer muss dabei Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers möglichst klar und durchschaubar darstellen.

Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht.

Die Klausel A 4.1.5.1 ist auch, soweit sie den Versicherungsschutz davon abhängig macht, dass die Schlüsselvortat „ohne fahrlässiges Verhalten des berechtigten Besitzers“ erfolgt ist, für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer hinreichend verständlich. Sie verweist ihn mit der Wendung „fahrlässiges Verhalten“ hinsichtlich der Schuldform mit dem Begriff der „Fahrlässigkeit“ auf einen fest umrissenen und in § 276 Abs. 2 BGB definierten Begriff der Rechtssprache:

„Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.“

Aufgrund der hinreichenden Bestimmtheit der verwendeten Begriffe muss der Versicherer dies auch nicht durch typische Beispielsfälle konkretisieren.

Die Klausel ist somit transparent und verständlich formuliert.

Beweislast für fehlende Fahrlässigkeit

Bei dem Merkmal der fehlenden Fahrlässigkeit handelt es sich um eine Tatbestandsvoraussetzung für das Bestehen des Versicherungsschutzes. Solche Tatbestandsvoraussetzungen muss stets der Versicherungsnehmer beweisen.

Entgegen der Auffassung des Klägers stellt auch das Belassen des Wohnungsschlüssels in einer geschlossenen, aber von außen sichtbaren Aktentasche auf dem Sitz eines Fahrzeugs ein fahrlässiges Verhalten im Sinne der Klausel A 4.1.5.1 dar. Dies auf jeden Fall dann, wenn das Fahrzeug unverschlossen ist.

Eine in einem Fahrzeug befindliche und von außen sichtbare Aktentasche birgt die erhebliche Gefahr, dass ein potentieller Dieb die Tasche in der Hoffnung auf darin befindliche Wertgegenstände entwendet, auch wenn der konkrete Inhalt von außen nicht erkennbar ist.

Ein solches Verhalten ist daher als fahrlässig einzustufen.

Zusammenfassung

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die erweiterte Schlüsselklausel in der Einbruchdiebstahlversicherung, wonach ein Einbruchdiebstahl auch dann vorliegt, wenn der Täter „in einen Raum eines Gebäudes mittels richtiger Schlüssel eindringt, die er ohne fahrlässiges Verhalten des berechtigten Besitzers durch Diebstahl an sich gebracht hat“, eine primäre Risikobeschreibung darstellt.

Die fehlende Fahrlässigkeit des berechtigten Schlüsselbesitzers stellt eine Voraussetzung für das Bestehen des Versicherungsschutzes dar, deren Vorliegen der Versicherungsnehmer beweisen muss.

Quelle: Advisors up-to-date

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