Betriebsgefahr bei Kraftfahrzeugen

24 Januar

Der BGH nimmt in seinen Urteilen immer wieder Stellung zum Umfang der Eintrittspflicht für Gefahren, welche von einem Kraftfahrzeug ausgehen und bei denen kein Verschulden des Fahrzeughalters oder Fahrers vorliegt. Diese Haftung für die Betriebsgefahr soll den besonderen Gefahren Rechnung tragen, welche von einem Kraftfahrzeug ausgehen. Dabei soll der Schutz möglichst umfassend sein und nur in wenigen Ausnahmefällen nicht bestehen.

Einführung in die Thematik
Der Gesetzgeber erkannte die besondere Gefahr, welche von Kraftfahrzeugen ausgeht und regelt daher in § 1 PflVG, dass für die Zulassung von Kraftfahrzeugen das Vorliegen einer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung mit einem bestimmten Mindestdeckungsumfang Voraussetzung ist.

Weiterhin wurde neben der verschuldensabhängigen deliktischen Haftung nach § 823 BGB eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung des Halters nach § 7 StVG für Schäden eingeführt, die bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen.

Betriebsgefahr
Bei der Einordnung der Betriebsgefahr ist zwischen der allgemeinen und der besonderen Betriebsgefahr zu unterscheiden.

Allgemeine Betriebsgefahr

Unter der allgemeinen Betriebsgefahr wird die Gefahr einer Schadenverursachung durch die Gesamtheit aller Umstände verstanden, welche durch die Eigenart eines Fahrzeugs für die übrigen Verkehrsteilnehmer geschaffen wird. Hierzu gehören Faktoren wie die Fahrzeuggröße, die Fahrzeugart, das Fahrzeuggewicht und die Fahrzeugbeschaffenheit.

Besondere Betriebsgefahr

Neben der allgemeinen Betriebsgefahr besteht die besondere Betriebsgefahr.

Hierunter versteht man die Gesamtheit der Umstände, die in der konkreten Verkehrssituation die Gefahr einer Schadensverursachung erhöhen, ohne dass ein Verschulden vorliegen muss.

Beispiele hierfür können besondere, in der Regel gefährliche Verkehrssituationen sein (z.B. Überholvorgänge oder Linksabbiegen), wobei nur solche Umstände zu berücksichtigen sind, die tatsächlich ursächlich für die Gefahrentstehung wurden.

Tritt daneben noch ein Verschulden des Fahrers hinzu, hat sich der Halter dieses zurechnen zu lassen. Hieraus ergibt sich dann jedoch keine erhöhte Betriebsgefahr, sondern dies stellt einen sogenannten unabhängigen Abwägungsfaktor bei der Bestimmung der Haftungsquote dar.

Ausschluss der Haftung aus Betriebsgefahr

Da die Haftung für die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs aufgrund der besonderen Gefahrschaffung durch den Halter den Regelfall darstellt, stellt der Haftungsausschluss hierfür die Ausnahme dar.

Die Haftung aus Betriebsgefahr ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wurde (§ 7 Abs. 2 StVG), ferner, wenn bei der Beteiligung mehrerer Kraftfahrzeuge am Unfall auch der sogenannte Idealfahrer den Unfall nicht hätte vermeiden können (unabwendbares Ereignis), § 17 Abs. 3 StVG.

Dabei wurde aber der Begriff des unabwendbaren Ereignisses bei der Reformierung des § 7 Abs. 2 StVG bereits 1998 gestrichen, womit die Haftung aus Betriebsgefahr im Verhältnis zu nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmern erst bei Vorliegen höherer Gewalt entfällt.

Auslegung der Betriebsgefahr

Haftungsadressat

Haftungsadressat der Betriebsgefahr ist nach bisheriger Rechtsprechung im Regelfall immer nur der unmittelbar am Unfall beteiligte Fahrer. Bereits beim dahinter stehenden nur wirtschaftlich Beteiligten vermag die Betriebsgefahr nicht mehr zu greifen.

So wird eine Anwendung der Betriebsgefahr gegenüber dem Leasinggeber oder dem Sicherungseigentümer von am Unfall beteiligten Fahrzeugen regelmäßig verneint.

Hingegen wird die Betriebsgefahr auf den Halter eines nicht unmittelbar am Unfall beteiligten Kraftfahrzeugs ausnahmsweise dann bejaht, wenn dies z.B. den Anlass für ein plötzliches Ausweichen eines anderen Fahrzeugs gab (vgl. BGH, Urteil vom 21.09.2010, Az. VI ZR 263/09) 

Auslegung des Begriffs „Betrieb“

Der Begriff des „Betriebs“ wird in der Rechtsprechung grundsätzlich weit ausgelegt, womit dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG Rechnung getragen werden soll.

Die weite Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG rechtfertigt sich damit, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine besondere Gefahrenquelle eröffnet wird.

Konsequenterweise sollen dann auch alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfasst werden. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb” eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich die von diesem ausgehende Gefahren in irgendeiner Weise ausgewirkt haben (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2005, Az.: VI ZR 168 / 04).

Diese weite Auslegung macht es möglich, auch Unfallfolgen etwa einer voreiligen und objektiv nicht erforderlichen Ausweichreaktion eines anderen Verkehrsteilnehmers dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zuzurechnen, welches diese Reaktion ausgelöst hat.

Der Zurechnungszusammenhang der Betriebsgefahr bestimmt sich maßgeblich anhand des zeitlichen und örtlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und dem Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs (vgl. BGH, Urteil vom 21.01. 2014, Az.: VI ZR 253/13).

Der BGH hat zudem entschieden, dass die Halterhaftung in § 7 Abs. 1 StVG auch dann greifen kann, wenn sich der Schaden, hier ein Brandschaden, erst nach einer zeitlichen Verzögerung von eineinhalb Tagen realisiert (vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2019, Az.: VI ZR 236/18).

Besondere Fallgestaltungen der Betriebsgefahr

Die nachfolgenden, besonderen Fallgestaltungen der Betriebsgefahr sollen einen Überblick über die bisherige Rechtsprechung hierzu geben.

Eine Haftung des verursachenden Kraftfahrzeugs aus Betriebsgefahr wurde bejaht, wenn der Fahrer eines anderen unfallbeteiligten Fahrzeugs aussteigt, um sich die Unfallfolgen anzusehen und dabei ausrutscht. Insbesondere wurde dabei der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem Erstunfall und dem anschließenden Sturz bejaht (vgl. BGH, Urteil vom 26.02.2013, Az.: VI ZR 116/12).

Eine besonders hohe Geschwindigkeitsüberschreitung (im Fall 121 km/h statt 50 km/h) rechtfertigt eine Haftungsquote von 30% zu 70 % zugunsten des anderen Verkehrsteilnehmers trotz dessen Vorfahrtsmissachtung. Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge wäre es aber nicht gerechtfertigt, die Betriebsgefahr des die Vorfahrt missachtenden Fahrers ganz entfallen zu lassen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.02.2016, Az.: 9 U 43/15).

Bei Unfällen zwischen Fußgängern und Kraftfahrzeugen kann ein Zurücktreten der Haftung aus Betriebsgefahr nur bei grob fahrlässigem Verhalten des Fußgängers ausnahmsweise angenommen werden. Dieses grob fahrlässige Verhalten muss sich im Unfallzeitpunkt niedergeschlagen haben und kausal für den Unfall geworden sein.

Es muss allein ursächlich geworden sein und es darf nicht noch ein Fehlverhalten des Autofahrers in Betracht kommen. Nur vermutete Verursachungsbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung haben bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile außer Betracht zu bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.2015, Az.: VI ZR 206/14).

Das Sichtfahrgebot bezieht sich nur auf Hindernisse, mit denen ein Kraftfahrer in der konkreten Situation rechnen muss. Demnach gilt es nicht für plötzlich von der Seite auf die Fahrbahn gelangende Hindernisse oder Fußgänger, da es sich grundsätzlich nur auf die Sicht vor dem Fahrzeug bezieht (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 09.05.2017, Az.: 4 U 1596 / 16).

Allerdings kann es auch hier zu einer Berücksichtigung der Betriebsgefahr kommen, wenn besondere Umstände, wie beispielsweise junge Fußgänger, vorliegen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2017, Az.: 13 U 143/16).

Andererseits wurde ein vollständiges Zurücktreten der Betriebsgefahr bejaht, wenn ein Kind bei Dunkelheit zwischen zwei parkenden Autos über die Straße läuft, obwohl es das mit ordnungsgemäßer Geschwindigkeit heranfahrende Auto gesehen hatte, sodass die Schwere seines Fehlverhaltens überwiegt (OLG Naumburg, Urteil vom 09.01.2013, Az.: 10 U 22/12).

Im Hinblick auf die Fahrzeugtypen sind nach bisheriger Rechtsprechung zu unterscheiden:

Von einem Motorrad geht grundsätzlich keine erhöhte Betriebsgefahr aus, es sei denn, die grundsätzlich höhere Instabilität des zweirädrigen Gefährts ist nachweislich mitursächlich für das Unfallgeschehen (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.2009, Az.: VI ZR 221/08).

Lastkraftwagen kommt bei gleichen oder ungeklärten Verursachungsbeiträgen aufgrund Größe und Gewichts eine erhöhte Betriebsgefahr gegenüber PKW zu (vgl. OLG München, Urteil vom 17.11.2017, Az.: 10 U 780/17).

Eine erhöhte Betriebsgefahr eines Lastkraftwagens wurde auch dann bejaht, wenn durch dessen Sogwirkung in der Vorbeifahrt die leicht geöffnete Fahrzeugtür eines am Fahrbahnrand parkenden Fahrzeugs komplett aufgezogen wird (vgl. BGH, Urteil vom 06.10.2009, Az.: VI ZR 316/08).

Hingegen tritt die Betriebsgefahr des vorfahrtsberechtigten Lastkraftwagens zurück, wenn der andere Pkw das Stoppschild missachtet (vgl. OLG München, Urteil vom 03.06.2016).

Zusammenfassung

Die Betriebsgefahr soll der von Kraftfahrzeugen ausgehenden besonderen Gefährdungslage Rechnung tragen. Daher ist diese an den Betrieb des Kraftahrzeugs geknüpft und soll nur bei ganz besonderen Fallkonstellationen entfallen.

In die Betriebsgefahr (allgemeine und besondere) sind alle Umstände einzustellen, welche sich aus der Eigenart des Fahrzeugs (Größe, Art, Gewicht, Beschaffenheit) ergeben sowie der Gesamtheit aller Umstände, die in der konkreten Verkehrssituation die Gefahr einer Schadensverursachung erhöht haben.

Ausblick: Betriebsgefahr autonomer Fahrzeuge
Noch unklar ist, wie sich autonomes Fahren (Fahrzeuge Level 5) auf die Wertung der Betriebsgefahr auswirkt.

Dabei könnten autonome Fahrzeuge besondere Gefahrenlagen schaffen, welche eine besondere Bemessung der Betriebsgefahr erforderlich machen.

Auch der Gesetzgeber stützt diese grundsätzliche Sichtweise, schreibt er doch in § 1 a Abs.2 S. 2 StVG dem Hersteller vor, dass dieser verbindlich zu erklären hat, dass das hoch- oder vollautomatisierte Fahrzeug allen Voraussetzungen des § 1 a Abs. 2 S. 1 Nr. 1. bis 6. StVG entspricht.

Im Rahmen der „Vision Zero“ wurde durch die Fahrzeughersteller die Zielvorstellung kreiert, dass es im Straßenverkehr der Zukunft aufgrund der technischen Fahrzeugmöglichkeiten zu keinen Toten und Verletzten mehr kommen wird. Würde dies Realität, so würde sich die Diskussion um die Betriebsgefahr dahingehend verändern, dass Personenschäden dabei unberücksichtigt bleiben könnten.

Quelle: Advisors up-to-date

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