Der Ausschluss für Erfüllungsschäden ist ein typischer Bestandteil einer Betriebshaftpflichtversicherung, der die Eintrittspflicht des Versicherers für das Unternehmerrisiko des Versicherungsnehmers beschränkt. Die genaue Reichweite dieser Begrenzung lässt sich allerdings im Einzelfall nicht immer einfach bestimmen, wie sich an einigen neueren obergerichtlichen Entscheidungen zeigt.
In den Versicherungsbedingungen von Betriebshaftpflichtversicherungen ist seit langem standardmäßig ein Ausschluss für Erfüllungsschäden enthalten. Die einschlägige Bestimmung in den aktuellen Musterbedingungen des GDV (AVB BHV) lautet wie folgt:
A1-3.2 Kein Versicherungsschutz besteht für Ansprüche, auch wenn es sich um gesetzliche Ansprüche handelt,
Soweit A1-3.2 Ansprüche auf Erfüllung von Verträgen, Nacherfüllung, aus Selbstvornahme, Rücktritt und Minderung nennt, hat die Bestimmung nur deklaratorischen Charakter. Aus einer Haftpflichtversicherung besteht ohnehin nur Versicherungsschutz für den Fall, dass der Versicherungsnehmer aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einem Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird (vgl. z. B. A1-3.1 AVB BHV). Versichert sind also nur Schadensersatzansprüche.
Darum handelt es sich bei den genannten Erfüllungsansprüchen und Gewährleistungsrechten eindeutig nicht.
Eigenständige Bedeutung hat A1-3.2 allerdings im Hinblick auf die übrigen in der Klausel angesprochenen (Schadens-)Ersatzansprüche. Es handelt sich daher insoweit nicht nur um eine Wiederholung der primären Risikobeschreibung, sondern um einen echten Risikoausschluss. Diese Einordnung ist praktisch von Bedeutung, weil der Versicherer für die Voraussetzungen eines Ausschlusses darlegungs- und beweisbelastet ist.
Für die Konkretisierung des Erfüllungsschadenausschlusses kommt es entscheidend darauf an, was unter einer „an die Stelle der Erfüllung tretenden Ersatzleistung“ zu verstehen ist. Diese Formulierung verwendet A1-3.2 f) als Oberbegriff, der durch die übrigen in A1-3.2 a) bis e) genannten Fälle lediglich illustriert wird.
Es besteht Einigkeit, dass es sich um einen eigenständigen versicherungsrechtlichen Begriff handelt, der unabhängig davon auszulegen ist, wie die vom Geschädigten geltend gemachten Ansprüche materiell-rechtlich (also etwa nach Werkvertragsrecht oder nach dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht des BGB, vgl. §§ 280 ff. BGB) einzuordnen wären (Littbarski/Tentschert/Klein/Dallwig, Betriebs- und Berufshaftpflichtversicherung, 2023, A1-3 AVB BHV Rn. 39 m.w.N.).
Nach ständiger Rechtsprechung kommt es für die Abgrenzung darauf an, ob der geschädigte Vertragspartner sein unmittelbares Interesse an dem vertraglich geschuldeten Leistungsgegenstand geltend macht. Der Umfang dieses Interesses wird durch den Inhalt der vertraglich geschuldeten Leistung bestimmt. Durch A1-3-2 AVB BHV werden daher Erfüllungsansprüche und die an ihre Stelle tretenden Surrogate vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Dagegen ordnet die Rechtsprechung einen Schaden, der jenseits des Verlustes des unmittelbaren Erfüllungswertes steht, nicht als Erfüllungsersatzleistung ein.
Versichert sind daher Ansprüche wegen Schäden an weiteren Rechtsgütern des Gläubigers (sog. Mangelfolgeschaden). In diesen Fällen soll nicht das Erfüllungsinteresse des Geschädigten, sondern sein Interesse an der Nichtverletzung seiner Rechtsgüter (Integritäts- oder Erhaltungsinteresse) betroffen sein. Als maßgeblich für diese Unterscheidung wird angesehen, ob Kosten aufgewendet werden müssen, um den Dritten in den Genuss der vertragsgerechten Leistung zu bringen, oder ob sie das Zurückbleiben der tatsächlichen Leistung hinter dem Versprochenen kompensieren sollen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.5.2024 – 5 U 36/23 m.w.N.).
Problematisch ist die Anwendbarkeit des Erfüllungsschadenausschlusses, wenn der Versicherungsnehmer im Rahmen der Auftragsausführung fremde Sachen beschädigt, die ihm der Auftraggeber zur Be- oder Verarbeitung zur Verfügung gestellt hat.
Diese Frage war Gegenstand einer Entscheidung des OLG Köln (Beschl. v. 31.1.2019 – 9 U 72/18). In dem zugrunde liegenden Fall hatte sich der Versicherungsnehmer verpflichtet, von dem Auftraggeber bereitgestellte Fassadenplatten zu grundieren und zu lackieren. Nach ordnungsgemäßer Durchführung dieser Arbeiten ließ der Versicherungsnehmer die Platten vor dem Verpacken jedoch nicht ausreichend trocknen. Die Platten klebten deshalb bei dem vom Auftraggeber durchgeführten Transport auf der Sichtseite zusammen, ließen sich nicht mehr ohne Beschädigung trennen und waren daher unbrauchbar.
Der Betriebshaftpflichtversicherer des in Anspruch genommenen Auftragnehmers verweigerte mit Hinweis auf den Erfüllungsschadenausschluss den Deckungsschutz.
Das OLG Köln ordnete die Ansprüche des Auftraggebers gegen den Versicherungsnehmer wegen des Schadens an den bereitgestellten Fassadenplatten als Ansprüche auf Ersatz eines Erfüllungsschadens ein. Zu der vertraglich geschuldeten Leistung habe auch die ordnungsgemäße Trocknung der bearbeiteten Fassadenplatten gehört. Diese Leistung habe der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß erbracht.
Ähnlich hatte das OLG Köln bereits in einer früheren Entscheidung argumentiert (OLG Köln, Beschl. v. 16.2.2010 – 9 U 127/09; zur Darstellung des Sachverhalts vgl. die Vorinstanz LG Köln, Urt. v. 26.8.2009 – 20 O 215/07). Dort war der Versicherungsnehmer mit der Verlegung eines Kabels beauftragt worden, das ihm vom Besteller zur Verfügung gestellt worden war. Bei der Verlegung wurde das Kabel beschädigt. Das OLG Köln ging auch im Hinblick auf diese Schäden von einem nicht versicherten Erfüllungsschaden aus.
Wenn man mit dem OLG Köln in den genannten Fällen einen Erfüllungsschaden bejaht, ist zu beachten, dass Deckungsschutz auch dann nicht besteht, wenn in den Versicherungsbedingungen Tätigkeitsschäden an fremden Sachen abweichend von der üblicherweise vereinbarten Tätigkeitsklausel (vgl. A1-6.7.3 AVB BHV) in den Versicherungsschutz einbezogen sind. Derartige Risikoeinschlüsse waren auch in den beiden vom OLG Köln entschiedenen Fällen vereinbart worden. Sie kommen indes nach allgemeiner Ansicht nur dann zum Tragen, wenn kein Erfüllungsschaden betroffen ist (OLG Köln, Beschl. v. 31.1.2019 – 9 U 72/18).
Im Schrifttum wird das Ergebnis des OLG Köln vielfach kritisiert. In beiden Fällen sei der Schutz der von dem Besteller zur Verfügung gestellten Sachen nicht Gegenstand der vom Versicherungsnehmer geschuldeten Leistung gewesen. Das Erfüllungsinteresse sei daher nur betroffen, soweit die primär vertraglich geschuldete Leistung (Maler- und Lackierarbeiten in dem Fassadenplattenfall, Verlegung des Kabels in dem Kabelfall) betroffen gewesen sei. Ersatzansprüche wegen Substanzschäden an den Platten bzw. dem Kabel seien daher dem Integritätsinteresse zuzuordnen (Piontek r+s 2019, 388; Schimikowski r+s 2020, 191, 193 f.).
Auf der Grundlage dieser Ansicht wird man bei Schäden an fremdem Material im Rahmen einer Be- oder Verarbeitung in der Regel dazu kommen, dass der Erfüllungsschadenausschluss nicht greift. Dann kommt es – wie bereits erwähnt – entscheidend darauf an, ob auch Tätigkeitsschäden versichert sind.
Der Erfüllungsschadenausschluss kann auch greifen, wenn der Versicherungsnehmer auf Nutzungsausfallentschädigung wegen des Ausfalls der Nutzung des Vertragsgegenstandes in Anspruch genommen wird (vgl. A1-3.2 c) AVB BHV). Auch insoweit kommt es aber – entsprechend der allgemeinen Abgrenzung (vgl. unter Ziff. 2.) – darauf an, ob unmittelbar das Interesse an der Erfüllung betroffen ist. Daran fehlt es etwa, wenn im Rahmen der Erbringung der vertraglichen Leistung eine (andere) Sache des Gläubigers beschädigt wird und der Gläubiger für den Nutzungsausfall an dieser Sache Nutzungsausfallentschädigung verlangt.
Die Abgrenzung ist Gegenstand einer aktuellen Entscheidung des OLG Saarbrücken (Urt. v. 8.5.2024 – 5 U 36/23). Dort hatte der Versicherungsnehmer landwirtschaftliche Flächen im Umkreis einer Windenergieanlage gepachtet. Gegenüber dem Betreiber der Anlage hatte er sich gegen Vergütung verpflichtet, die Flächen in bestimmter Weise zu bewirtschaften, um die Erfüllung von Auflagen der Genehmigungsbehörde für die Anlage zu gewährleisten. Insbesondere sollte er zum Schutz von Raubvögeln Getreidesorten anbauen, die bereits im Frühling eine dichte und hohe Bodendeckung bewirken. Gegen diese Pflicht verstieß der Versicherungsnehmer, indem er auf der Fläche versehentlich
Mais anpflanzte. Durch Bescheid der zuständigen Behörde wurde der Betrieb der Windenergieanlage daher für zwei Monate untersagt. Für die dadurch entgangene Nutzungsmöglichkeit nahm der Geschädigte den Versicherungsnehmer in Anspruch. Die Betriebshaftpflichtversicherung des Landwirts verweigerte den Deckungsschutz mit Hinweis auf den Erfüllungsschadenausschluss.
Auf den ersten Blick könnte man gegen die Einordnung als Erfüllungsschaden einwenden, dass der Nutzungsausfall nicht unmittelbar durch die “falsche” Bepflanzung der Fläche, sondern erst mittelbar durch die behördliche Nutzungsuntersagung bewirkt wurde. Zudem könnte man argumentieren, dass Inhalt der vertraglichen Leistungspflicht nicht (wie etwa bei einem Bauvertrag) unmittelbar die Errichtung oder Instandhaltung der Windkraftanlage, sondern lediglich die Bepflanzung der landwirtschaftlichen Flächen war.
Das OLG Saarbrücken nahm demgegenüber einen Erfüllungsschaden an: Das Erfüllungsinteresse des Windkraftanlagenbetreibers erfasse neben der vertragsgemäßen Kultivierung der Fläche auch den durch die Leistungsstörung verursachten Gewinn- oder Nutzungsausfall, der dadurch entstehe, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch der Anlage infolge der Leistungsstörung nicht möglich gewesen sei.
Daher habe sich durch die Nutzungsuntersagung gerade das vertragsimmanente Risiko verwirklicht, das durch die vertragsgemäße Bodenkultivierung verhindert werden sollte. Der Betreiber habe augenscheinlich kein Interesse an dem angebauten Getreide gehabt. Seine Intention sei es vielmehr gerade gewesen, durch die vertragliche Verpflichtung des Landwirts ein Einschreiten der Behörde zu verhindern und einen ununterbrochenen Betrieb der Windkraftanlage zu gewährleisten. Der geltend gemachte Nutzungsausfallschaden habe daher das Zurückbleiben der tatsächlichen Leistung hinter dem Versprochenen kompensieren sollen und betreffe damit das vom Versicherungsschutz ausgeschlossene Erfüllungsinteresse (OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.5.2024 – 5 U 36/23 = r+s 2024, 801 m. zustimmender Anm. Schimikowski).
Die Entscheidung des OLG Saarbrücken macht deutlich, dass mit dem Erfüllungsschadenausschluss im Einzelfall erhebliche Deckungslücken verbunden sein können: In dem dortigen Fall wurde der Landwirt auf Nutzungsausfall in Höhe von rund 58.000 EUR in Anspruch genommen, während seine jährliche
Vergütung aus dem Bewirtschaftungsvertrag 1.200 EUR betrug. Es stellte sich daher die Frage, ob der Versicherer nicht auf diese Lücke hätte hinweisen müssen. Eine dahingehende Beratungspflicht lehnte das OLG Saarbrücken indes ab, weil der Versicherungsvertrag vor dem Bewirtschaftungsvertrag geschlossen worden war und – mangels Offenlegung durch den Versicherungsnehmer – kein nachträglicher Beratungsanlass nach § 6 Abs. 4 VVG bestanden habe (OLG Saarbrücken, Urt. v. 8.5.2024 – 5 U 36/23 = r+s 2024, 801 m. zustimmender Anm. Schimikowski). Eine Pflicht zum Hinweis auf den potenziell unzureichenden Versicherungsschutz wäre aber in Betracht gekommen, wenn dem Versicherer – bei
Abschluss des Versicherungsvertrags oder später – bekannt gewesen wäre, welche (risikoträchtigen) Pflichten der Versicherungsnehmer übernommen hatte.
Die Anwendung des Erfüllungsschadenausschlusses kann in der Praxis immer wieder Probleme bereiten. Insbesondere die Abgrenzung von (nicht versicherten) Ansprüchen auf den „unmittelbaren“ Erfüllungsschaden und versicherten Ersatzansprüchen ist schillernd und in Teilbereichen umstritten.
Soweit der Erfüllungsschadenausschluss greift, kann er – wie etwa der Fall des OLG Saarbrücken zeigt – zu empfindlichen Deckungslücken führen. Insbesondere bei der vorvertraglichen Beratung sollte daher ein besonderes Augenmerk auf die von dem zu versichernden Unternehmen geschlossenen Verträge und die damit verbundenen Haftungsrisiken gerichtet werden, damit die mit dem Erfüllungsschadenausschluss möglicherweise verbundenen Deckungslücken identifiziert und ggf. beseitigt werden können.
Quelle: Advisors Up-to-date
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